Schlingensiepen OSC

Experimente

Sofortige Höchstleistungen

jede mir bekannte Organisation, ob privatwirtschaftliches Unternehmen, staatliche Einrichtung oder gemeinnützige Institution, sucht heute angestrengt nach Mitteln und Methoden, um das Leistungsniveau ihrer Mitarbeiter zu erhöhen. In gewissem Maß mag das ein Streben nach Spitzenqualität sein, aber meistens geht es um Kostensenkung, höhere Profite oder besseren Service. Nicht, dass diese Faktoren nicht letztlich zu Spitzenleistungen führen könnten, aber Altruismus ist nicht die grundlegende Motivation. Es geht um etwas weit Elementareres: Es geht ums Überleben. Der Punkt ist, dieses Bestreben ist keine belanglose Spielerei.

Die angestrebten Varianten menschlicher Spitzenleistung erscheinen unter einer Vielzahl von Namen, wie zum Beispiel „Ermächtigung", „eigenverantwortliche Teams", „geteilte Führungsverantwortung", „Management von Mehrdeutigkeiten und Unterschieden", „unterstützende Gemeinschaft" und natürlich „Change Management". Wenn man bedenkt, welche Summen für Trainingsprogramme ausgegeben werden, die ein Erreichen dieser hehren Ziele herbeiführen sollen, kann der Ernst der Lage nicht bezweifelt werden.

Es liegt mir fern, die vielen Bemühungen zu schmälern, die in diese Richtung unternommen werden, aber ich muss zugeben, dass die Ergebnisse mich etwas enttäuschen. Nachdem ich beispielsweise an mehreren Trainingsprogrammen und Seminaren zum Thema Ermächtigung teilgenommen hatte, konnte ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Berater die einzigen waren, deren Entscheidungs- und Handlungsmacht tatsächlich erweitert wurde. Ich weiß, so war es nicht gedacht, und es war auch nicht das Ergebnis, das die Kursleiter angestrebt hatten. Aber die Wahrheit ist: Wenn ich Ihnen Macht verleihe, übe ich in gewisser Weise auch Macht über Sie aus.

Ein Großteil der neuen Schlagwörter und der damit verbundenen Programme sind ein gutes Beispiel dafür, wie man das neue Spiel nach den alten Regeln spielt. Ganz gleich, was die Worte besagen, im Grunde geht es immer noch um Kontrolle und darum, wie man sie erreicht. Gelegentlich kommt dieses Anliegen ganz offen zum Ausdruck, wie beim Change Management - ein Begriff, der ganz klar impliziert, dass man den Wandel tatsächlich managen kann. Meiner Ansicht nach überschreitet die Vielzahl der Veränderungen, die wir im Augenblick erleben, ganz eindeutig die Fähigkeit eines jeden, sie zu steuern - zumindest in dem Sinn, wie gute Manager das zu verstehen gewohnt sind.

Denken Sie an die alte Redewendung: Ein guter Manager erstellt den Plan, arbeitet nach Plan und erfüllt den Plan. Das läuft alles auf das gleiche hinaus: Kontrolle, Kontrolle und nochmals Kontrolle. Dasselbe könnte über das Management von Unterschieden und komplexen Wechselbeziehungen gesagt werden. Ich glaube, wir begreifen langsam, dass es mittlerweile neue und andere Denkweisen über die Arbeitsweise in Organisationen gibt, Denkweisen, die nicht auf unserem gewohnten Verständnis bzw. der Illusion von Kontrolle beruhen.

Um auf Open Space Technology zurückzukommen: Die Teilnehmenden machen hier meiner Erfahrung nach die bemerkenswerte Entdeckung, dass die angestrebten neuen Verhaltensweisen nicht entwickelt werden müssen, sondern bereits da sind.

Nehmen wir die Ermächtigung: Bei jeder Open-Space-Veranstaltung machen die Teilnehmer schon in der ersten Stunde die Erfahrung, dass sie etwas geschafft haben, was alle für unmöglich hielten. Einer großen Gruppe von Leuten, manchmal von höchst heterogener Zusammensetzung, ist es gelungen, ein mehrtägiges Tagungsprogramm mit zahlreichen parallelen Workshops (Arbeitsgruppen) auf die Beine zu stellen. 

Für die Dauer der Veranstaltung moderieren, leiten, entscheiden und organisieren die Teilnehmenden alles vollkommen selbständig - und zwar ohne spezielle Trainingsprogramme oder eine Armee von Beratern. Wenn es einer Gruppe gelingt, etwas zu tun, von dem sie „weiß", dass es unmöglich ist, dann ist sie wahrhaft ermächtigt, denn sie hat ihren Entscheidungs- und Handlungsspielraum entscheidend erweitert.

Oder nehmen wir die selbstbestimmten Arbeitsgruppen. Viele Organisationen investieren Unsummen und unzählige Schulungsstunden in den Versuch, solche eigenverantwortlichen Teams zu fördern. Aber bei Open Space arbeiten die Teilnehmenden von Anfang an auf diese Weise und können das auch weiterhin tun, wenn sie sich dafür entscheiden.

Der nächste Punkt auf der Liste ist „geteilte Führungsverantwortung". Hierbei fällt mir der Unternehmensführer einer lateinamerikanischen Firma ein, der im Verlauf einer Open-Space-Veranstaltung bemerkte, dass ein Außenstehender, der plötzlich dazukäme, absolut keine Ahnung hätte, wer der „große Boss" sei, denn aus dem Verhalten der Teilnehmer ließe sich das unmöglich entnehmen. Führung wurde von allen möglichen Leuten aus allen Hierarchieebenen des Unternehmens ausgeübt, und das Muster änderte sich ständig, je nach der anstehenden Aufgabe und Situation...